Heile Welt mit Außenstelle

Auf seinem Hof verkauft Hubert Müller seine Erzeugnisse an Menschen aus den umliegenden Dörfern.

Die Welt wäre so einfach, wenn sie so wäre wie Hubert Müllers Welt. Auf seinem Biokreis-Hof Kranabith in der Haidmühle (Landkreis Freyung-Grafenau) nahe der tschechischen Grenze stellt er seine Erzeugnisse her und die Leute aus der Umgebung kommen und kaufen sie ihm ab. Hühner und Gänse sind draußen unterwegs, dahinter weiden Rinder. Ein syrischer Flüchtling arbeitet im Hühnerstall. In Hubert Müllers Welt dürfen Menschen und Tiere „frei herumlaufen“, wie er sagt. Der 58-Jährige greift so wenig wie möglich in die Natur ein, er verpackt seine Lebensmittel nicht in Plastik und wenn ein Huhn oder eine Gans schlachtreif ist, geht er in den Stall und tut, was getan werden muss. So einfach ist das. Von 5.30 Uhr in der Früh bis 23 Uhr nachts arbeitet er – stetig und ohne Druck und Stress. So geht es ihm gut. Anders will er nicht mehr leben.


Doch Hubert Müllers Welt war nicht immer so einfach. Geboren und aufgewachsen in der Haidmühle am Fuße des Dreisessels mitten im Bayerischen Wald, im Nachbarhaus des Hofs Kranabith, arbeitete er viele Jahre unter enormen Druck im Verkauf. Landwirtschaft betrieben seine Eltern und Großeltern zwar schon immer, aber in diesen Nebenerwerb war Hubert Müller nie intensiv involviert. Später war er in Simbach im Landkreis Rottal-Inn in der Holzverladung tätig, dann in der Gastronomie, bis er im Jahr 2000 gemeinsam mit Jürgen Sommer (66) den Kranabith-Hof neben seinem Elternhaus erwarb, ihn abriss und ganz neu aufbaute – inklusive Landwirtschaft, „die beste Entscheidung meines Lebens“.

Auf dem "Kranabith"-Hof haben die Tiere ein gutes Zuhause.

Selbstversorger und Direktvermarkter

Alte Haustierrassen wollten Hubert Müller und Jürgen Sommer auf ihrem Hof mit 22 Hektar Grund halten. „Die Leute vom Landwirtschaftsamt schüttelten damals nur ungläubig den Kopf“, erinnert sich Hubert Müller. Und auch heute noch klingt es fast märchenhaft, wenn man hört, dass eine Landwirtschaft mit zwölf Rindern der Rasse Rotes Höhenvieh, 30 Böhmischen Weißgänsen, 80 Legehennen und Gemüseanbau auf einem halben Hektar funktionieren kann. Das Geheimnis: Direktvermarktung. Und diese haben die beiden Männer beinahe perfektioniert.


„Die Verbraucher*innen wollen Bio, und seit zehn Jahren sind wir durch den Biokreis zertifiziert“, erklärt Hubert Müller. Mit ihren biologisch erzeugten Lebensmitteln versorgen sie erst einmal sich selbst. „Viel einkaufen brauchen wir nicht“, erzählt er, „Mehl und Zucker und noch ein paar wenige Dinge. Ansonsten reichen uns unsere Erzeugnisse vom Hof.“ Einen großen Teil der Produkte erwerben die umliegenden Kund*innen. Sie kommen aus den Dörfern zum Hof und nehmen mit, was gerade da ist: Gemüse, Kartoffeln, Eier und immer mal wieder, wenn ein Rind zum Schlachter gebracht wurde, ein Fleischpaket. Seit zwei Jahren ergänzt eine weitere Säule den Absatz des Hofs. Das Restaurant „Kranabith“ im etwa 50 Kilometer entfernten Passau verwertet rund 30 Prozent der am Hof hergestellten Produkte.

„Bayerisch-arabisch“: ein Beitrag zur Flüchtlingshilfe

Die Gründung des kleinen Restaurants in der Stadt kommt dem Hof in der Einöde zugute. Aber nicht nur diesem: Seit 1990 engagiert sich Hubert Müller in der Flüchtlingshilfe. Damals kümmerte er sich vor allem um Menschen aus Somalia und Eritrea, heute sind es in erster Linie Syrer*innen, die sich an ihn wenden, um Hilfe bei Behördengängen und Schreiben bitten und in dem ausgeglichenen zufriedenen Landwirt auch einen Freund finden. „Bayerisch-arabisch“ ist die Ausrichtung des dezenten Lokals direkt gegenüber dem Rathaus, und in der Küche stehen Syrer*innen, die zum Beispiel Shish Kebap oder Maluchia, Blätter der Malvenpflanze, Tabouleh, einen Petersiliensalat, aber auch Schnitzel und Käsespätzle kochen. „Wir sind gerade dabei, hinter dem Restaurant einen Laden aufzubauen“, erklärt Jürgen Sommer, der im „Kranabith“ meist hinter der Theke steht und sich um das „Drumherum“ kümmert. Auch hier in der Stadt werden bereits jetzt Lebensmittel vom Hof angeboten.


Direkter könnte die Vermarktung kaum sein. Jeden Morgen packt Hubert Müller alles, was in Restaurant und Laden gebraucht wird, ins Auto. Jürgen Sommer fährt damit in die Stadt. Den Rest des Tages erledigt Hubert Müller meist die Aufgaben am Hof – manchmal werden die Rollen allerdings auch getauscht. Wenn es die Zeit erlaubt, arbeiten sie gemeinsam in der Landwirtschaft. Das Erste am Tag: die Katzen versorgen, die sich in der warmen Stube sichtlich wohl fühlen. Etwa zehn sind es immer, sterilisiert ist keine. So wenig wie möglich eingreifen, so das Credo. „Die Natur regelt sich selbst“, weiß Hubert Müller und streichelt den jüngsten Nachwuchs, zwei kleine Herbstkätzchen, die gerade mit Schnupfen kämpfen. Dann geht’s weiter in den Stall und auf die Weide. Eine künstliche Befruchtung hat es hier noch nie gegeben. Meist läuft ein Stier mit den Kühen, heuer haben sie ihn entfernt, aber nächstes Jahr wird es wieder Kälber geben. Danach kommt der Garten an die Reihe. Es wird gesät, gepflegt, geerntet. Lagern sei das A und O. In sämtlichen Räumen stapeln sich Karotten, Kraut, Zwiebeln, Sellerie und mehr. Ab 14 Uhr widmet sich der Landwirt dem Schreibzeug, 20 Stunden arbeitet er ehrenamtlich für die Flüchtlinge. Anschließend geht er wieder zu den Tieren. Der Arbeitstag endet täglich mit dem Schließen des Hühnerstalls. „Das ist meine Lebensaufgabe. So soll es bleiben bis zum Tod.“ Hinter Dingen herlaufen, suchen, was man sowieso nicht finden wird – das ist nicht seine Sache.

„Als Junger hat mir das Schlachten nichts ausgemacht. Aber ich merke, dass es mich zunehmend beschäftigt."
Hubert Müller

„Mensch, Tier, Natur – alle haben Rechte“

Doch auch wenn hier alles rund zu sein scheint – mit einer Sache hadert Hubert Müller mehr und mehr, je älter er wird. „Als Junger hat mir das Schlachten nichts ausgemacht. Aber ich merke, dass es mich zunehmend beschäftigt. Ich überlege oft fünf Tage, ob es die rechte Zeit ist für ein Tier – aber dann geht’s.“ Er sei kulturell geprägt von der Vorstellung des Nutztiers, das eines Tages geschlachtet wird. „Wenn ich es nicht mehr kann, muss ich mit der Tierhaltung aufhören, aber das möchte ich auch nicht“, sagt er nachdenklich. Es tröstet ihn, dass das Tier in seiner Lebenszeit geachtet wird. „Der Mensch, das Tier, die Natur – alle haben Rechte. Da bin ich strikt.“
An allen will Hubert Müller nah dran sein, auch an seinen Kund*innen. „Ich will die Direktvermarktung, weil ich mit den Leuten reden will.“ In den Handel einzusteigen sei von Anfang an keine Option gewesen.

 

Ziele hat er trotzdem noch. Der Laden in Passau soll laufen, um die Mutter will er sich kümmern, die derzeit noch im Nachbarhaus lebt, aber wer weiß, wie lange es dort noch geht? Und ein großer Wunsch: einmal nach Damaskus reisen, die Heimat und Familien seiner syrischen Freund*innen kennen lernen. „Aber das wird sich sehr wahrscheinlich nicht erfüllen“, meint er. Zu sehr lebt er im Hier und wird am Hof gebraucht. Die Nachfolge ist geregelt. Ein syrischer Freund wird den Hof einmal übernehmen. „Ich hoffe, dass ich so lange wie möglich gesund bleibe. Und wenn´s nicht mehr geht, setz ich mich auf meine Hausbank und schau in die Gegend.“

Von Ronja Zöls-Biber

 

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