Ein Potpourri an Düften zieht durch die Gänge, die an beiden Seiten mit farbenfrohen, kunstvollen Ständen gesäumt sind. Schmuck, bunte Kleidung und natürliches Kunsthandwerk wechseln sich ab mit Gerichten und Getränken sämtlicher Nationen, deren Gerüche sich gegenseitig berühren und vermengen. Auf dem ökokulturellen Sommer-Tollwood-Festival, das seit 1988 Jahr für Jahr im Olympiapark München stattfindet, spielte die Bio-Gastronomie von Anfang an eine zentrale Rolle.
An jedem Essensstand, beim Tibeter, Inder, Griechen, Spanier oder im Burger-Laden hängt die jeweilige Bio-Zertifizierung deutlich sichtbar an den Theken. „Wir fragen genau nach: Seid Ihr wirklich Bio? Woher kommen Eure Zutaten? Habt Ihr alles in Bio, was in Bio erhältlich ist?“, erklärt Daniela Schmid, bei der Tollwood GmbH verantwortlich für das Projekt Mensch und Umwelt, in welches auch das Themenfeld Landwirtschaft und Ernährung fällt. Sie führt uns quer durch den Markt der Ideen, bis wir schließlich an einen Stand kommen, in dem konventionelle Milch neben konventionellen Maiskolben und konventionellem Kaffee präsentiert wird. „Tante Emmas Wahre-Kosten-Laden“ steht über der alten Registrierkasse, an der eine junge Frau sitzt, die jedoch statt Preise einzutippen die Fragen der Besucher*innen beantwortet.
Fast zehn Euro mehr für Hackfleisch
Im Rahmen einer Kooperation mit der Universität Greifswald wird derzeit unter dem Titel „How much ist the dish? – Maßnahmen zur Erhöhung der Biodiversität durch true cost accounting bei Lebensmitteln (HoMaBiLe)“ zu den Folgekosten der Produktion von Lebensmitteln geforscht. Bisher wurden vier externe Treiber in diese Forschung einbezogen: Energie, Treibhausgase, Landnutzungsänderung und Stickstoffeintrag. Die Ergebnisse werden im Rahmen der Mini-Ausstellung „Tante Emmas Wahre-Kosten-Laden“ gezeigt. „Wir wollten das Projekt nicht mit erhobenem Zeigefinger vorstellen, sondern in einem schönen Ambiente“, erklärt Daniela Schmid die Art der Umsetzung.
„Folgekosten sollen gar nicht erst entstehen. Dass sich die landwirtschaftliche Praxis diesbezüglich verbessern kann, zeigen die Bio-Bauern und -Bäuerinnen.“
1,02 Euro müssten auf den Preis der konventionellen Milch draufgeschlagen werden, um die wahren Kosten zu erhalten. Bei einem Kilogramm konventionellem Hackfleisch sind es Mehrkosten von 9,67 Euro! Ein Kilo Gouda kostet eigentlich 4,38 Euro mehr, und wir erfahren, dass Bio-Gouda für die Gesellschaft um 25 Prozent günstiger ausfällt. Die Erzeugung von Öko-Tomaten in der Saison verbraucht 0,035 CO₂, bei konventionellen Tomaten sind es 0,085 CO₂ pro Kilogramm. „Die Wissenschaftler*innen haben mithilfe einer Unmenge von Daten bei jedem einzelnen Lebensmittel überprüft, welche Ressourcen es verbraucht und was es eigentlich kosten müsste“, erklärt Daniela Schmid die Vorgehensweise und räumt ein, dass bei den bisher gewählten externen Treibern Bio nur geringfügig unter den Preisaufschlägen von Konventionell liege.
Insbesondere bei der Landnutzungsänderung seien die Folgekosten von Bio aber geringer. Derzeit werden in der Forschungsarbeit weitere Faktoren wie Wasserverbrauch, Pestizideinsatz, Tierwohl, Fairness sowie gesundheitliche Kosten einbezogen. „Hier zeichnet sich bereits eindeutig ab, dass Bio sehr viel weniger Preisaufschläge erfordert als Konventionell.“ Die Gesamtergebnisse sollen im kommenden Frühjahr präsentiert werden.
Pflanzlich versus tierisch
Bei den bisher unter die Lupe genommenen Treibern gibt es ein klares Ergebnis: Es besteht ein großer Unterschied zwischen tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln. „Je mehr Kostenverursacher miteinbezogen werden, desto mehr kommen wir in Richtung Pflanzlich und Ökologisch“, betont Daniela Schmid. In der Ausstellung ist auch die Rolle des Faktors Saisonalität zu erkennen. Und Besucher*innen erfahren noch mehr: „Apfelbäume werden 20 bis 30 Mal pro Saison gespritzt“, „Der Wasserverbrauch eines Rindersteaks ist 10 mal höher als der einer Avocado“ und „Der Wasserfußabdruck von 1 Kilo Kaffee kann fast 1000 oder nur wenige Liter betragen, kommt ganz auf die Herkunft an“.
„Folgekosten sollen gar nicht erst entstehen. Dass sich die landwirtschaftliche Praxis diesbezüglich verbessern kann, zeigen die Bio-Bauern und -Bäuerinnen“, fasst Daniela Schmid zusammen. Viele Bio-Käufer*innen fühlten sich derzeit betrogen, da sie einerseits die teureren Bio-Produkte kaufen und dazu noch über die Steuern die Folgekosten der konventionellen Produktion tragen.
Und wie geht's jetzt weiter?
Drei Fragen an Daniela Schmid:
Steigende Preise werden derzeit breit diskutiert und kritisiert. Sollten die wahren Kosten trotzdem verlangt werden?
Wir sehen die Verantwortung nicht an erster Stelle bei den Verbraucher*innen und halten es für wenig sinnvoll, einfach die „wahren Kosten“ zu veranschlagen. Auch dann nicht, wenn mit den eingenommenen Geldern Kosten und Schäden kompensiert würden. Ausschließlich wahre Kosten an der Kasse bezahlen zu müssen, würde bedeuten, dass die soziale Ungerechtigkeit größer wird. Menschen mit großem Geldbeutel könnten weiterhin mit zerstörerischen Folgen einkaufen, Menschen mit kleinem Geldbeutel würden zwar nachhaltiger einkaufen, wären aber trotzdem von den Umweltfolgen betroffen.
Sinnvoller wäre es, wenn negative Folgen für die Umwelt, die Gesundheit und das soziale Miteinander erst gar nicht entstünden; auch deshalb, weil manche Folgen wie der Biodiversitätsverlust irreversibel sind! Somit sehen wir die Verantwortung bei der Politik. Es ist ihre Aufgabe, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Landwirtschaft in Deutschland umweltfreundlicher, sozialverträglicher und nachhaltiger zu gestalten und die Menschen zu unterstützen, sich zukunftsfähig zu ernähren. HoMaBiLe hat es sich daher zu einem seiner Kernziele gemacht, einen Maßnahmenkatalog für die Politik zu erarbeiten.
Sollten Bio-Lebensmittel preislich begünstigt werden?
Aus unserer Sicht sollten sowohl ökologisch produzierte als auch pflanzliche Lebensmittel begünstigt werden, um die Nachfrage nach diesen Produkten zu erhöhen. Eine erhöhte Nachfrage nach ökologisch produzierten und pflanzlichen Lebensmitteln und eine damit einhergehende sinkende Nachfrage nach konventionellen und tierischen Produkten würde mit einer Reduzierung externer Effekte und Schadkosten einhergehen. Auch hier sehen wir die Politik in der Pflicht.
Wie kann man mit dieser Studie praktisch vorankommen?
Die Studie kann auf zweifache Weise einen Beitrag zur Verbesserung des Status Quo leisten: Zum einen zielt sie darauf ab, einen Maßnahmenkatalog für Politiker*innen vorzulegen, mit dessen Hilfe die Bepreisung externalisierter Kosten auf angemessene Weise umgesetzt und der Wandel der Agrarsysteme angegangen werden kann. Zum anderen schafft die Studie Transparenz hinsichtlich der Produktion verschiedener Lebensmittel und sensibilisiert für externe Effekte und daraus entstehende Kosten für die Gesellschaft, die globale Gemeinschaft und zukünftige Generationen.
Von Ronja Zöls-Biber
Daniela Schmid, Projektleiterin Mensch und Umwelt bei der Tollwood GmbH