„Die Hütte brennt!“

Image

Ute Pesch ist Referatsleiterin der Abteilung Wirtschafts-, Umwelt- und Energiepolitik beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) in Berlin. Im Interview informiert sie über die Stärken des Lebensmittelhandwerks, die existenzbedrohenden Energiekosten und die bürokratische Überlastung mittelständischer Betriebe.

 

Frau Pesch, wer betreibt in Deutschland handwerkliche Lebensmittelverarbeitung? 

Bäcker*innen, Fleischer*innen, die italienischen Speiseeishersteller*innen, Konditor*innen, Müller*innen und die Privatbrauer*innen sorgen dafür, dass die Verbraucherschaft in Deutschland tagtäglich mit frischen und qualitativ hochwertigen Produkten aus der Region versorgt wird. Das Lebensmittelhandwerk bildet mit seinen mehr als 32.000 Betrieben ein wichtiges Gegengewicht zur industriellen Lebensmittelherstellung und dem Lebensmitteleinzelhandel in einem globalisierten Markt. Hinsichtlich der Betriebszahl stellen sie zwar „nur“ knapp 5 Prozent der Betriebe im Lebensmittelbereich, und doch sind knapp 10 Prozent aller Erwerbstätigen der Lebensmittelwirtschaft und sogar fast 15 Prozent aller Auszubildenden im Lebensmittelhandwerk dort beschäftigt. Diese Zahlen sind nicht nur Beleg für die Bedeutung als Arbeitgeber, sondern auch für die Personalintensität des Lebensmittelhandwerks.

 

Wie genau ist die Unterscheidung zur industriellen Lebensmittelverarbeitung? 

Betriebe des Lebensmittelhandwerks sind in die Handwerksrolle eingetragen und damit eindeutig zuzuordnen. Kennzeichnend für das Lebensmittelhandwerk sind seine kleinst-, klein- und mittelständische Struktur. Die Betriebe des Lebensmittelhandwerks sind vorrangig inhabergeführte Familienbetriebe, die unter Bewahrung ihrer Traditionen hochwertige Lebensmittel mit moderner Technik und vornehmlich regionalen Grundstoffen herstellen und anbieten. Zudem sind sie stärker als andere Marktplayer flächendeckend in allen Regionen vertreten und genießen durch den tagtäglichen persönlichen Kundenkontakt ihrer qualifizierten Mitarbeiter*innen  zurecht ein besonders hohes Verbrauchervertrauen. Als ortsnaher Ausbilder und Arbeitgeber ist das Lebensmittelhandwerk ein wichtiges Element der regionalen Wirtschaftsstruktur und insbesondere des lokalen Mittelstandes.

"Industrie und Handel werben gern mit handwerklichen Attributen - ohne dass hinter ihren Produkten jedoch handwerkliche Arbeit steht."
ute pesch

Insgesamt haben die Betriebe des Lebensmittelhandwerks eine hohe Bedeutung für die Nah- und Grundversorgung der Bevölkerung und die regionale Wertschöpfung in ländlichen Räumen. Rund 62 Prozent der Standorte von Betrieben des Lebensmittelhandwerks sind dem ländlichen Raum zuzuordnen, wo sie nicht nur die Nahversorgung in Kleinstädten und Dörfern sichern, sondern oftmals auch Stabilitätsanker und Kommunikationszentrale sind und damit auch regionale Vielfalt gewährleisten. Das Lebensmittelhandwerk hat in der Bevölkerung einen hervorragenden Ruf als Produzent hochwertiger Lebensmittel. Das nutzen auch Industrie und Handel, indem sie gern mit handwerklichen Attributen werben, ohne dass hinter ihren Produkten jedoch handwerkliche Arbeit steht. 

 

Wie stark sind handwerkliche Lebensmittelbetriebe von der Energie-Krise betroffen? 

Um es mal ganz informell zu sagen: Die Hütte brennt bei vielen Betrieben des Lebensmittelhandwerks. Auf der einen Seite erleben sie seit März 2022 eine inflationäre Preisentwicklung der Rohstoffe und steigende Personalkosten: Beides konnten und können die Betriebe nach den Erhebungen des ZDH nur zum Teil an ihre Kundschaft weitergeben. Denn auch ihre Kund*innen haben Zukunftsängste und können das zur Verfügung stehende Einkommen nur einmal ausgeben. Die daraus resultierende Kaufzurückhaltung ist bei den Lebensmittelhandwerken bereits zu spüren. 

 

Hinzu kommen die bereits deutlich gestiegenen Energiekosten, die spätestens zum Jahreswechsel noch einmal deutlich anziehen werden, wenn weitere Festpreisverträge auslaufen. Das Lebensmittelhandwerk gilt über weite Teile als energieintensiv: Das bedeutet, dass die Energiekosten in Relation zum Umsatz bereits heute schon weit über 3 Prozent liegen. Diesen hohen Kostenfaktor können sie nicht auch noch auf die Verkaufspreise umlegen, ohne Kundschaft zu verlieren.

 

 

Image

Für Betriebe ist das eine schwierige Situation, weshalb sie auf die von der Politik avisierten Ausgleichszahlungen dringend angewiesen sind. Ohne diese Hilfen könnten an sich gesunde und nachhaltige Strukturen im Lebensmittelhandwerk unwiederbringlich zerstört werden. Denn Betriebe, die einmal schließen, kommen in der Regel nicht wieder auf den Markt. Es muss daher alles der Politik Mögliche getan werden, um diese Strukturen zu erhalten und zu vermeiden, dass tausende Arbeits- und Ausbildungsplätze verloren gehen. 

 

Ist handwerkliche Lebensmittelverarbeitung zukunftsfähig?

Das Lebensmittelhandwerk ist grundsätzlich zukunftsfähig, und die jüngsten Krisen zeigen die Vorteile regionaler Wertschöpfungsketten im Vergleich zu globalen und damit störanfälligen Lieferketten. Doch man muss das Lebensmittelhandwerk auch agieren lassen statt seitens der Gesetzgeber – wenn auch ungewollt – Konzentrationsprozesse in der Ernährungswirtschaft auch noch befördern. Ein Kernproblem für das Lebensmittelhandwerk sind Gesetzesinitiativen, die zwar oft auf die Regulierung von Großunternehmen abzielen, aber in der Regel von allen Marktakteur*innen anzuwenden sind. Jede neue Auflage, jedes neue Gesetz verstärkt die Bürokratie in den Betrieben. Hierbei macht es die Summe der bürokratischen Anforderungen, nicht die einzelne Auflage. Eine solche Gesetzgebung ist alles andere als nachhaltig, weil sie den Mittelstand, das nachhaltige Wirtschaften sowie die nachhaltige Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln immer stärker belastet. 

 

Von Ronja Zöls-Biber

Image

Ute Pesch ist Referatsleiterin der Abteilung Wirtschafts-, Umwelt- und Energiepolitik beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) in Berlin

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert