„Die Branche ist bereit für mehr und hält die 30 Prozent für erreichbar!“

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„30 Prozent Bio – Impuls oder Illusion?“: Zu dieser Frage wollten wir auch noch mal das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft einbeziehen. Staatssekretärin Silvia Bender spricht über die Chancen des Ziels, die angestrebte Strategie zur Erreichung und die Notwendigkeit von Aufklärung. 

 

Frau Bender, das Ziel „30 Prozent Bio“ wird derzeit massiv in Frage gestellt. Warum brauchen wir es trotzdem?

Wir stoßen massiv an die Grenzen mit einigen Praktiken der Landwirtschaft. Das sehen wir noch deutlicher seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, der die Schwächen des Systems verstärkt. Ökolandbau kann Klimakrise, Artensterben und struktureller Abhängigkeit von autoritären Regimen etwas entgegenhalten. Wir müssen diesen Hebel jetzt umlegen. Bio ist besser fürs Klima, besser für die Biodiversität, wirtschaftet stärker im Kreislauf und kommt ohne energieintensive – und gerade sehr teure – Mineraldünger und chemisch-synthetische Pestizide aus. Das macht die Landwirtschaft resilienter und schont Ressourcen. 

 

Man hat derzeit nicht das Gefühl eines gesellschaftlichen Rückenwinds für dieses Ziel. Geht es überhaupt ohne diesen? Und welches Narrativ erscheint erfolgversprechend?

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und seine Folgen haben andere Themen in den Fokus gerückt. Ein Gefühl der Unsicherheit, Auswirkungen auf die Wirtschaft und steigende Kosten für Energie und Lebensmittel bereiten uns Sorgen. Rückenwind für Bio ist aber da: Trotz der Kaufzurückhaltung aufgrund der Inflation geht es mit dem Bio-Umsatz tendenziell aufwärts. Bei Lebensmittelgruppen wie Gemüse, Käse, Fleisch oder Eiern sind die Bio-Absatzmengen 2022 im Vergleich zu 2019 um rund 50 Prozent gestiegen. Im Discount wurde mehr Bio verkauft. Schwer hat es im Moment zugegebenermaßen der Bio-Fachhandel. Insgesamt gesehen bleiben die Kundinnen und Kunden Bio aber treu. 

 

30 Prozent Bio: Ist das vielleicht auch eine Strategie, viel zu fordern, um wenigstens ein bisschen was zu bekommen?

Das Ziel ist ambitioniert – aber wir hätten es uns nicht gesetzt, wenn wir nicht an den Erfolg glauben würden. Die Transformation von Land- und Ernährungswirtschaft drängt, das belegen viele Stimmen aus der Wissenschaft, von Entwicklungs- und Umweltorganisationen. Auch die Zukunftskommission Landwirtschaft sagt, dass Bio gestärkt werden muss. In meinen Gesprächen merke ich, dass die Branche bereit ist für mehr und die 30 Prozent für erreichbar hält. Und schließlich haben wir uns auch auf EU-Ebene verpflichtet: In der Farm-to-Fork-Strategie hat sich Europa 25 Prozent Bio bis 2030 vorgenommen. 

 

In der letzten Zeit wird immer wieder kritisiert, dass die vorgesehenen Finanzmittel einen Ausbau auf 30 Prozent Bio gar nicht erlauben. Sind die finanziellen Mittel für 30 Prozent Bio da?

Das 30-Prozent-Ziel ist im deutschen GAP-Strategieplan verankert, und die Mittel für die Öko-Förderung werden fast verdoppelt. Das ist aber erst der Anfang: Wo möglich, wollen wir die Agrarförderung schon ab 2023 zielgenauer auf die Honorierung öffentlicher Leistungen ausrichten. Zudem stellen wir die europäische Förderpolitik auf den Prüfstand, um ab 2027 die Direktzahlungen durch ein System zu ersetzen, in dem gesellschaftliche Leistungen für Umwelt, Klima und Biodiversität honoriert werden. Auch das Bundesprogramm Ökologischer Landbau und die Eiweißpflanzenstrategie haben wir aufgestockt. Damit können wichtige Impulse in der Forschung, Verarbeitung, Vermarktung oder bei der Verbraucherinformation gesetzt werden. Darüber hinaus zielen wir darauf, 30 Prozent unserer Forschungsmittel dem Ökolandbau zu widmen; sowohl in der Ressortforschung als auch in der Forschungsförderung.

"Vor allem aus sozialen, ökologischen und aus Gründen der Gesundheit sind wir für die Senkung der Umsatzsteuer bei Gemüse, bei Hülsenfrüchten oder Obst."
silvia bender

Viele sehen die Außer-Haus-Verpflegung als Schlüssel für das Ankurbeln der Bio-Produktion. Wann kann die Verbraucherschaft sich endlich über nennenswerte Mengen von Bio-Produkten in Schulen und Kindergärten, Kantinen und Krankenhäusern freuen?

Tag für Tag essen sechs Millionen Menschen in Deutschland auswärts. Da liegt es auf der Hand, die Außer-Haus-Verpflegung stärker zu nutzen, um die Bio-Nachfrage anzukurbeln. Mehr Bio, mehr Saisonal und Regional in die Kantinen und Mensen – das haben wir uns in der Ernährungsstrategie vorgenommen. Für die Küchen muss es attraktiv und einfach sein, mit mehr Bio zu kochen. Dafür haben wir eine Förderung für Außer-Haus-Unternehmen aufgelegt, um die Betriebe zu beraten, die umstellen möchten. Wir schaffen auch die Rechtsgrundlagen, um Bio-Kennzeichnungsregelungen und -kontrolle auf die Außer-Haus-Verpflegung maßzuschneidern und ihre Bio-Zertifizierung zu erleichtern. 

 

Vor allem in der Außer-Haus-Verpflegung spielt aber die Preissensibilität eine große Rolle. Muss Bio hier günstiger werden oder gibt es einen anderen Weg?

Viele Beispiele zeigen, dass mehr Bio innerhalb bestehender Budgets möglich ist. Prozesse zu optimieren und Menüs anzupassen, spielt eine wichtige Rolle: Mehr Pflanzliches statt tierischer Produkte stehen dann auf dem Speiseplan. Auch weniger wegzuwerfen, zahlt sich finanziell aus. Es geht vor allem um Know-how – auch dabei helfen wir mit unserer Förderung: Neben der Beratung werden auch Personalschulungen unterstützt. Denn die Bio-Kompetenz der Belegschaft ist entscheidend, wenn Bio als leckere, umweltfreundliche Alternative zu guten Preisen ein nachhaltiger Erfolg werden soll. 

 

Beim Thema Impfen etwa wurden große Kampagnen gefahren. Warum haben wir Vergleichbares angesichts des ambitionierten 30-Prozent-Ziels beim Thema „Bio-Lebensmittel“ noch nicht erlebt?

Aufklärung spielt eine wichtige Rolle. Viele Menschen wissen gar nicht, welche Vorteile Bio hat. Hier setzen wir an: Wir arbeiten an einer Bio-Infokampagne, die wir im kommenden Jahr starten wollen.

 

Könnte nicht ein klares Instrument, wie zum Beispiel die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Bio-Produkte, den gewünschten Ruck bringen, um schnell viel erreichen zu können?

Vor allem aus sozialen, ökologischen und aus Gründen der Gesundheit sind wir für die Senkung der Umsatzsteuer bei Gemüse, bei Hülsenfrüchten oder Obst. Leider gibt es für diesen Vorschlag in der Bundesregierung derzeit keine Mehrheit. Wie es im Bereich der Steuern weitergeht, die Antwort überlasse ich den zuständigen Kolleginnen und Kollegen im Finanzministerium (lacht).

 

Immer wieder wird angesichts multipler Krisen eine Abkehr vom 30-Prozent-Ziel gefordert. Hält Ihr Ministerium um jeden Preis daran fest?

Bio ist unser Leitbild für nachhaltige Landwirtschaft und ein System, das heute schon funktioniert – inklusive einer wohlbekannten Kennzeichnung. 30 Prozent Ökolandbau zahlt auf wichtige Ziele ein: Das Klima wird geschützt, Artenvielfalt bleibt erhalten, Boden und Grundwasser werden geschont, und wichtige Innovationen für die gesamte Landwirtschaft vorangetrieben. Das ist der richtige Weg, auch angesichts der externen Kosten, die das aktuelle System der gesamten Gesellschaft aufbürdet. 

 

 

Von Ronja Zöls-Biber / Foto: BMEL/Stephan Framke

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