Der Außer-Haus-Verpflegung soll laut Bundesregierung eine Schlüsselrolle beim Ausbau der Ökolandwirtschaft zukommen. Als einer der ersten Köche Deutschlands stellte Gilbert Bielen (48) bereits im Jahr 2008 eine Kantine auf 100 Prozent Bio um. Die Mitarbeitenden, Kinder und Eltern im Landshuter Kinderkrankenhaus St. Marien kamen zehn Jahre lang in den Genuss biologischer Mahlzeiten – bis man rückumstellte. Ein Gespräch mit Gilbert Bielen über ein einmaliges Projekt, das schließlich scheiterte…
Herr Bielen, eine Kantine mit 100 Prozent Bio-Lebensmitteln ist auch heute noch etwas Besonderes. 2008 war es beinahe revolutionär. Woher kam damals die Motivation für das Projekt?
Ich war damals schon viele Jahre in der Bio-Gastronomie tätig, strebte aber nach der Geburt meiner Kinder einen familienfreundlicheren Job an. Im Landshuter Kinderkrankenhaus wurde ein Küchenchef gesucht. Die Trägerschaft des Hauses obliegt den Solanusschwestern, und von dieser Seite kam beim Bewerbungsgespräch die Frage, ob man die Kantine auf 100 Prozent Bio umstellen könne. Meine Ambition war hier groß, da ich mich selbst biologisch ernähre und voll hinter Bio stehe. Ich erarbeitete also ein Konzept: Eine neue Kalkulation war dabei das eine, weniger Fleisch und mehr Getreide das andere.
Wie lief die Umstellung?
Die Mitarbeiterschaft hat Hunger, wenn sie in die Kantine kommt, und will was Handfestes essen – oft Fleisch. Schweinefleisch fiel wegen der unterschiedlichen Kulturen schon mal weg. Ich konzentrierte mich daher auf Rind und Pute und dabei auf die Verwertung des ganzen Tiers – außer den Innereien, denn diese sind im Krankenhaus verboten. Nach und nach hatte ich Direktvermarktende aus der Umgebung an der Hand, die uns zuverlässig belieferten. Die Region ist gut bestückt mit Öko-Betrieben, auch aus dem Gemüsebau.
Wie war die Resonanz auf das „neue“ Essen?
Da die Kosten für das Mitarbeiter-Essen etwas erhöht werden mussten, wurde Bio von vielen erst mal nur als böse angesehen. Es gab anfangs einige Proteste. Doch mit der Zeit wurden die Mahlzeiten mehr und mehr wertgeschätzt, und als es zu Ende ging, waren viele traurig.
Wie konnte es passieren, dass nach so einem großen Schritt 2018 eine Rückumstellung erfolgte?
Irgendwann stiegen die Kosten auf dem Medizin-Sektor, und die Folge waren Sparmaßnahmen in anderen Bereichen. Wenn die Krankenkassen ihre jährlichen Umsätze publizieren und danach für Millionen neue Bürogebäude bauen, fragt man sich schon, ob es nicht besser wäre, stattdessen in gesundes Essen in den Krankenhäusern zu investieren. Schließlich trägt eine gesunde Ernährung auch zur Genesung bei. Die Rückumstellung entsprach nicht meiner Philosophie. Daher habe ich das Kinderkrankenhaus verlassen.
"Die Außer-Haus-Verpflegung bietet ein Riesengebiet für den Ausbau von Bio."
Welche Botschaft hinterließ diese Rückumstellung Ihrer Meinung nach?
Die Außer-Haus-Verpflegung bietet ein Riesengebiet für den Ausbau von Bio. Und es gibt hier auch ein Bedürfnis von Seiten der Kundschaft. Wer im Krankenhaus war, erzählt oft zuerst, wie unzufrieden sie mit dem Essen waren. Mit der Rückumstellung wurde einmal mehr demonstriert, dass in diesem Bereich keine Kosten aufgefangen werden. In vielen staatlichen Einrichtungen könnte Bio umgesetzt werden. Zum einen fehlen aber derzeit das Personal, das auch hinter dem Bio-Gedanken steht, zum anderen finanzielle Mittel. Ich war selbst als Coach für das Staatsministerium unterwegs und führte Beratungen zur Umstellung durch. Aber man muss hier einfach mehr Geld in die Hand nehmen.
Auch die Verbraucherschaft müsste ja bereit sein, mehr Geld für die Außer-Haus-Verpflegung auszugeben…
Ich denke, dass die Ansprüche an die Außer-Haus-Verpflegung teilweise zu hoch sind. Wir haben im Kinderkrankenhaus auch für Kindergarten und -krippe gekocht. Hier halte ich es für notwendig, als Koch zu Elternabenden zu gehen und das Konzept zu erklären. Die meisten Kindergärten servieren zwei oder drei Gänge. Warum? Bereiten Sie denn zu Hause zwei bis drei Gänge für Ihre Kinder zu? Kinder sind auch mit einem Teller Spätzle mit Soße oder einer Ofenkartoffel mit Quark und Gemüsesticks zufrieden. Mit mehreren Gängen und der Berücksichtigung von Fructose-, Lactose- und Gluten-Unverträglichkeiten werden viel Geld und Manpower verbraucht. Arbeit, Energie und hochwertige Lebensmittel kosten eben was!
Und wie wird es in herkömmlichen Kantinen gemacht?
Ich kenne viele Großküchen, in denen wegen Sparmaßnahmen erst mal von Butter auf Margarine umgestellt wurde, von Kartoffelbrei aus echten Kartoffeln zu Pulverbrei. Hochwertige Zutaten fallen nach und nach weg, um noch günstiger zu werden. Ich persönlich verstehe nicht, dass es Küchenchefs gibt, die da mitmachen.
Glauben Sie angesichts Ihrer persönlichen Erfahrungen an 30 Prozent Bio bis 2030?
Aus meiner Sicht entscheidet das nicht die Politik. Wenn eine Person ein hohes Amt in der Politik und gleichzeitig einen Beraterposten in der Industrie besetzt, kann das nicht funktionieren. Unsere Industrie ist darauf ausgelegt, Umsätze über Masse statt Klasse zu generieren. Daher wird ein Bio-Ausbau von industrieller Seite nicht angestrebt, und der Einfluss der Industrie ist groß. Aus meiner Sicht wird „30 Prozent Bio bis 2030“ scheitern.
Von Ronja Zöls-Biber
Gilbert Bielen arbeitet heute im Katholischen Jugendsozialwerk München e.V. in der Ausbildung von Jugendlichen mit Beeinträchtigungen und aus Förderschulen und hat damit seinen Fokus geändert. Trotzdem strebt er auch hier Bio-Qualität in der Küche an.