Faktencheck: Neue Gentechnik

Noch ist Gentechnik auf Europas Äckern und in Lebensmitteln streng und transparent reguliert. Doch im Sommer 2023 will die EU-Kommission ihren Plan zur Lockerung des EU-Gentechnikrechts vorlegen, um Neue Gentechnik (NGT), auch Genom-Editierung genannt, von der Regulierung auszunehmen. Verfahren wie die Genschere CRISPR/Cas werden dabei als Lösung für Klimakrise, Artensterben, Wasserknappheit, Lebensmittelverschwendung und Welthunger präsentiert. Warum lehnt die Bio-Branche die Neue Gentechnik ab?

Die wichtigsten Argumente:

1. Neue Gentechnik (NGT) ist keine klassische Züchtung.

Gentechnische Veränderungen sind nicht vergleichbar mit natürlichen Vorgängen. Im Labor werden die Wände einzelner Zellen geöffnet und direkt auf Ebene der DNA im Zellkern operiert. Mittels CRISPR/Cas kann die DNA in pflanzlichen, tierischen oder menschlichen Zellen verändert werden, und zwar ohne das Einbringen artfremder DNA wie bei der sogenannten „alten“ Gentechnik. Es können mehrere unterschiedliche DNA-Sequenzen einer Zelle gleichzeitig verändert werden (Multiplexing), DNA-Teile ausgeschaltet oder neu zusammengefügt werden oder auch Mutationen in besonders geschützten Bereichen des Erbguts erzeugt werden, die die klassische Züchtung nicht erreicht.

Der Europäische Gerichtshof klärte 2018, dass es sich auch bei der NGT technisch und rechtlich um gentechnisch veränderte Organismen (GVO) handelt, auch wenn nur arteigenes Erbgut verwendet wird. Seitdem pumpte die Agrarindustrie Dutzende Millionen Euro in Lobbyarbeit für die Deregulierung von NGT-Pflanzen, das bedeutet Freisetzungen ohne Erlaubnis und wirtschaftliche Nutzung ohne Auflagen. Mit dem Green-Deal-Ziel, den Pestizideinsatz bis 2030 zu halbieren, erhöhte sich der Druck auf das Geschäftsmodell, herbizidtolerante Pflanzen und Herbizide aus einer Hand anzubieten, weiter. Aktuell wird versucht, die Deregulierung im Tausch für den Pestizidabbau zu bekommen.

2. Die Deregulierung der Gentechnik bedroht den Ökolandbau existenziell.

Wenn Pflanzen, die mit NGT erzeugt wurden, aus der Regulierung genommen werden, wird Gentechnik zu Nicht-Gentechnik. Für NGT-Pflanzen gäbe es keine Kennzeichnung, keine Risikoprüfung und keine Rückverfolgbarkeit entlang der gesamten Lieferkette. Bäuerinnen und Bauern als auch die Züchtung wüssten nicht mehr, was in ihrem Saatgut oder dem des Nachbarn steckt und weil Gentechnik im Bio-Recht verboten ist, müssten Öko-Betriebe viel Zeit und Geld für Analysen und Kontrollen auf Verunreinigungen ausgeben. Koexistenz, also das Nebeneinander dieser Anbauformen, wäre nicht mehr möglich, und das Verursacherprinzip, wodurch die Haftung für Auskreuzungen außerhalb der eigenen Flächen beim Inverkehrbringer liegt, wäre ausgehebelt.

Das ist ein Frontalangriff auf den Ökolandbau und die gesamte gentechnikfreie Produktion. Die Deregulierung wäre das Ende der Bio-Ausbauziele in Deutschland (30 % bis 2030) und Europa (25 % bis 2030), und das obwohl der Markt für gentechnikfreie Produkte allein in Deutschland mit 30 Milliarden Euro Umsatz (davon über 15 Mrd. im Bio-Bereich) riesig ist und 85 % der Bevölkerung weiterhin Bio-Lebensmittel kaufen wollen (BMEL Öko-Barometer 2023). Kein Wunder, dass es in EU-Kreisen heißt, der Ökolandbau sei die einzige Hürde, die noch im Weg stünde, um „die Potenziale der Neuen Gentechnik für Europa zu nutzen“.

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3. Gentechnik schafft Abhängigkeiten durch Patente. 

Herkömmlich gezüchtete Pflanzen und Tiere sind eigentlich nicht patentierbar. Die EU-Patentrichtlinie von 1998 nimmt jedoch „technische Erfindungen“ davon aus, auch wenn das fragliche Merkmal bereits natürlich vorkommt. Damit genießen alle NGT-Pflanzen Patentschutz – ein mächtiger Motor für die Industrie.

Patente sind staatlich geschützte Monopole, die Innovationen verhindern, weil patentierte Neuzüchtungen nicht für den züchterischen Fortschritt nutzbar sind. Die Agrarindustrie verdient damit auf jeder Wertschöpfungsstufe mit, ohne an der Produktion beteiligt zu sein, und sie verhindert bereits heute, dass kritische Wissenschaftler:innen Saatgut für die Risikoforschung erhalten – mit Verweis auf den Patentschutz.

Der globale Saatgutmarkt wird inzwischen von vier Agrarchemie-Riesen dominiert: Bayer, Corteva, Syngenta und BASF, die mehr als 1.500 Patente halten. Diese zunehmende Monopolisierung der Lebensmittelproduktion bedeutet für die Landwirtschaft steigende Saatgutpreise, geringere Sortenvielfalt und das Verschwinden mittelständischer Saatgutunternehmen. Pflanzen mit multiplen Genmanipulationen lassen sich teuer verkaufen und traditionelle Sorten verschwinden nach und nach aus den Katalogen. Vor diesen in den USA zu beobachtenden Effekten im Zuge der Aufweichung des EU-Gentechnikrechts warnte Anfang 2023 auch der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter (BDP). Gerade kleine, ökologische Züchtungsunternehmen entwickeln regional angepasste Sorten weiter oder forschen im Bereich Mischfruchtanbau, eine vielversprechende Anpassungsstrategie in Zeiten der Klimakrise.

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4. Klimaangepasste Sorten gehören nicht zum Portfolio der Gentechnik-Industrie. 

Mit der Erderhitzung gehen Ernteerträge weltweit zurück. Auch in unseren gemäßigten Zonen gibt es immer mehr Dürre. Schon heute werden 70 Prozent des weltweiten Süßwassers zur Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen verwendet – Tendenz steigend. Hinzu kommt der Verlust von fruchtbarem Land durch Degradation, Versiegelung und Versalzung. Doch neben Wasserknappheit und Trockenheit bedeutet der Klimawandel vor allem eine Unberechenbarkeit des Wetters in Form von Dauerregen, Stürmen und Spätfrost.

Dass klimaangepasste Laborpflanzen hier die Lösung sind, ist ein Mantra, das nicht einmal die Gentechnik-Forschung selbst glaubt. Auf transgen.de, dem Infoportal der Chemie- und Saatgut-Lobby, ist zu lesen, dass sich „die bisher landwirtschaftlich genutzten GV-Pflanzen auf wenige neue Merkmale beschränken – im Wesentlichen Resistenzen gegen Schädlinge und Herbizide“. Eigenschaften wie höhere Erträge oder bessere Anpassung an sogenannte abiotische Umweltfaktoren wie Trockenheit oder Überschwemmungen erfordern die Anpassung mehrerer Gene, die selbst wiederum mit weiteren Genen als auch der Umwelt interagieren. Konventionelle Züchtungen sind hier bisher erfolgreicher als Superpflanzen aus dem Labor.

5. Gentechnik gefährdet die Wirtschaftlichkeit der Landwirtschaft und das Innovationspotenzial Deutschlands.

Hohe Qualität und Gentechnikfreiheit sind die Alleinstellungsmerkmale der europäischen Landwirtschaft. Die Gentechnik-Gesetze sind ein wirksamer Außenschutz der EU, denn sie verhindern, dass wir mit Importen aus Ländern wie USA, Kanada und Australien, wo riesige GVO-Monokulturen mit hohen Subventionen angebaut werden, überschwemmt werden. Tatsächlich findet Forschung an GV-Pflanzen in Deutschland statt, doch Freilandversuche gab es nur bis 2012. Die anhaltenden Proteste und „Feldbefreiungen“ haben damals dafür gesorgt, dass die EU-Politik reagierte und die Rahmenbedingungen vorsichtiger gestaltete und stärker an Umwelt- und Verbraucherschutz (Vorsorgeprinzip) ausrichtete. 

Internationale Beispiele zeigen, dass Staaten, die Neue Gentechnik verbieten (derzeit insgesamt 26), weniger aus Ländern importieren, in denen NGT erlaubt ist, da Kontamination wahrscheinlicher und die Lebensmittelsicherheit geringer ist. Mit einer Deregulierung gehen somit steigende GVO-Importe und Exportrückgänge bei gentechnikfreien Produkten einher, die weitere Arbeitsplätze in der Landwirtschaft vernichten und das Verbrauchervertrauen untergraben, was zusätzlich zu Umsatzeinbußen führt. 

„Die Forschung zu neuen gentechnischen Verfahren ist nicht verboten. […] Und zur Wahrheit gehört, dass selbst die größten Optimisten sagen, dass die neuen Verfahren in frühestens zehn Jahren soweit sind. […] Ich rate dringend dazu, nicht so zu tun, als würde in der Zukunft irgendetwas erfunden, was alle Probleme auf einmal löst. Das ist mir zu esoterisch.“

Cem Özdemir, 18.01.23, im Rahmen der Grünen Woche in Berlin

6. Die neue Gentechnik birgt neue Risiken.

In der aktuellen Naturbewusstseinsstudie des Bundesamts für Naturschutz sind 89 Prozent der Befragten der Meinung, mögliche Auswirkungen auf die Natur sollten immer untersucht werden, wenn Pflanzen mit neuen Verfahren gentechnisch verändert werden. 

Untersuchungen im Labor können die Wirklichkeit nur bedingt wiedergeben und sich bei der Züchtung nur auf Gene zu konzentrieren, greift zu kurz. Pflanzen werden auch von der Umwelt beeinflusst und solche epigenetischen Veränderungen sind vererbbar – und das unbemerkt von der Forschung, nämlich ohne dass sich die DNA-Sequenz zwingend ändert. Mit der Ausschaltung eines Gens können somit auch Kommunikationsmechanismen mit der Umwelt ausgeschaltet werden. An der Universität Neuchâtel in der Schweiz wurde beispielsweise in Feldversuchen erkannt, dass Maispflanzen einen Duftstoff produzieren, der Fressfeinde des Maiswurzelbohrers anzieht, sobald die Pflanze befallen wird. Interessanterweise – das mag Zufall sein oder nicht – ging diese Eigenschaft bei US-amerikanischen, auf Ertrag gezüchteten Maissorten verloren. 

Problematisch ist bei der NGT also nicht nur, dass unbeabsichtigte Mutationen entstehen, sondern dass gewollte Veränderungen unabsichtlich in Stoffwechselprozesse eingreifen. Ergebnisse können sein: veränderte Inhaltsstoffe oder Wuchsform, veränderte Stressreaktionen, schwächere Abwehrmechanismen gegenüber Schädlingen, Viren oder Bakterien sowie Auswirkungen auf das Zusammenspiel mit arteigenen Pflanzen oder dem Mikrobiom im Boden als auch auf die Bildung von Allergenen. Hier braucht es mehr unabhängige Risikoforschung, Fütterungsstudien und Bewertung der bereits existierenden Studien, die negative Effekte beschreiben.

Fazit:

Psychologisch gesehen ist es nachvollziehbar, warum wir bei komplexen Problemen mit langfristigen Auswirkungen, vielen Beteiligten und keiner zentralen Autorität – wie der Klimakrise oder eben der Transformation der Landwirtschaft – auf einfache technische Lösungen setzen und Symptome behandeln wollen. Doch wer einfache Lösungen für eine produktive, klimafreundliche und ressourcenschonende Landwirtschaft sucht, missversteht sie in ihrer Komplexität und Ganzheitlichkeit. Beruhigende Tomaten, nicht-bräunende Äpfel oder Rapsöl mit veränderten Inhaltsstoffen bringen uns weder weltweite Ernährungssicherheit noch Klima- und Artenschutz. Das erreichen wir langfristig nur über widerstandsfähige, vielfältige und artenreiche Ökosysteme. Statt auf Wunderpflanzen zu warten, sollten wir existierende Lösungen wie den Ökolandbau nutzen.

Deshalb ist es jetzt Zeit, aktiv zu werden! Fachhandelsmitglieder können die offizielle Willensbekundung des Bio-Dachverbands IFOAM, keine NGT-Produkte zu führen, unterschreiben und publizieren. Für Bio-Betriebe gibt es in Kürze ein Aktionspaket, um den Protest deutlich zu machen und Verbraucher:innen, also wir alle, sollten unsere Europaabgeordneten auffordern, unsere Wahlfreiheit zu sichern, und können die Postkartenaktion an Olaf Scholz und Cem Özdemir unterstützen. 

Von Jana Werner