Kuh und Kalb im selben Stall

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1.500 Milchkühe, 130 Mitarbeiter*innen, mehr als 4.000 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche, davon etwa 1.000 Hektar Grünland – das Hofgut Eichigt steht für Ökolandbau im großen Stil. Wie kriegt man in diesem Maßstab die kuhgebundene Kälberaufzucht hin? Ein Besuch vor Ort gab Aufschluss. 

 

Dass kuhgebundene Aufzucht nicht nur in kleineren Strukturen möglich ist, zeigt das Hofgut Eichigt. Aus dem ehemals konventionellen Betrieb wurde auf Initiative von dennree-Gründer Thomas Greim mit Vision und viel Engagement ein ökologischer Betrieb. Die Umstellung auf Bio erfolgte bei laufender Bewirtschaftung. Zusammen mit der Bio-Ausrichtung sollte auch die Kälberaufzucht wesensgerechter werden und wurde deshalb auf kuhgebundene Aufzucht umgestellt. Eine große Herausforderung, denn Erfahrungswerte von anderen Betrieben dieser Größe gab es bis dahin nicht – das Hofgut Eichigt nimmt hier eine Vorreiterrolle ein. 

 

Bevor bauliche Veränderungen vorgenommen werden konnten, musste die Vision deshalb in ein durchdachtes Konzept gebracht werden. „Wir haben uns dafür entschieden, so zu bauen, dass wir auch hörnertragende Tiere halten können“, sagt Nadine Adler. Sie ist als Leiterin Zentrale Dienste und Naturschutz auf dem Hofgut angestellt und unter anderem für das Thema Zertifizierungen zuständig. Die 1.500 Kühe der Rasse Holstein-Friesian sind nämlich genetisch horntragend, wurden aber in der konventionellen Haltung bis zum Zeitpunkt der Umstellung enthornt.

„Es ist uns ganz wichtig: Wir ziehen alle Kälber auf die gleiche Weise auf.“
nadine adler

„Für behornte Kühe ist es wichtig, dass sie sich aus dem Weg gehen können“, erklärt Nadine Adler weiter. „Unsere Ställe sind deshalb ohne Sackgassen und Engstellen gebaut.“ Mit dem Neubau wurde außerdem sichergestellt, dass jede Kuh genug Platz und eine eigene Liegefläche hat – jedem Tier steht nun dreimal so viel Fläche zur Verfügung, plus Weidezugang. Für die kuhgebundene Aufzucht wurde noch einmal ein zusätzlicher Stall errichtet, der an die besonderen Bedürfnisse von Mutterkuh beziehungsweise Ammenkuh und Kalb angepasst ist.

Das Kalb im Mittelpunkt

Nachdem die Kühe gegen Ende ihrer Trächtigkeit bereits im Hauptstall von der Herde getrennt und trockengestellt werden, ziehen sie zwei bis drei Wochen vor der Geburt in den Ammenkuhstall in die Abkalbeboxen um. Während dieser Zeit erhalten sie Futter, das auf eine gute Laktation vorbereitet und so rationiert ist, dass das Kalb nicht zu stark zunimmt und die Geburt dadurch erschwert. „Die Komplikationen bei Geburten gehen bei uns gegen Null“, erzählt Nadine Adler. Um jeder Kuh und ihrem Kalb die besten Stallbedingungen bieten zu können, findet die Abkalbung auf dem Hofgut Eichigt ganzjährig statt. So kann die Aufteilung in artgerechte Herdengrößen gewährleistet und die Stallkapazität effektiv genutzt werden.

 

Der große und offene Ammenkuhstall bietet mit viel Platz und Stroheinstreu ideale Bedingungen für Kühe und Kälber. Während das Kälbchen die ersten fünf Tage rund um die Uhr mit seiner Mutter zusammen ist und direkt am Euter trinken kann, wird die Mutterkuh auf ihre Ammenfähigkeit geprüft. Kühe, bei denen ein besonders ausgeprägter Mutterinstinkt beobachtet wird, verbleiben mit ihrem Kalb im Ammenkuhstall und übernehmen die Fürsorge von zwei weiteren gleichaltrigen Kälbern, mit denen sie bereits seit der Geburt in einem Bereich gruppiert sind. Nach Eingewöhnung in diese Struktur werden mehrere Ammenkühe und ihre Kälber in Kleingruppen zusammengeführt, in denen sie bis zur Trennung verbleiben. So wachsen alle Kälber in Gruppen auf und erlernen ganz wesensgerecht das Sozialverhalten. Vor allem der Umgang mit Hörnern muss gelernt werden.

 

 

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Eine Besonderheit: Nach Geschlecht wird auf dem Hofgut Eichigt nicht getrennt – auch die Bruderkälber bleiben zunächst bei der Mutter- und später einer Ammenkuh. „Es ist uns ganz wichtig: Wir ziehen alle Kälber auf die gleiche Weise auf“, sagt Nadine Adler.

Hohe Milchqualität für gesunde Kälber

Während der Aufzucht in Kleingruppen werden die Kälber zweimal am Tag für drei Stunden von den Ammen getrennt. In dieser Zeit befinden sie sich in einem separaten Bereich, den sie auch sonst durch einen Kälberschlupf jederzeit betreten können. Hier herrscht ein molliges Klima, und es steht frisches Wasser, Kälbermüsli und Heu zur Verfügung. Bevor die Gruppen getrennt werden, animieren die Mitarbeiter*innen die Ammen zum Aufstehen: „Die älteren Kälber wissen dann sofort Bescheid, dass die Milchbar nochmal geöffnet ist“, erzählt Nadine Adler. 

 

Sind die Ammen dann allein, findet eine Euterkontrolle statt und die Kühe werden vorgemolken, um die Milchqualität zu überprüfen. Auch die Gesundheit der Kälber wird überprüft und ihr Verhalten beobachtet. Die Kuhgesundheit wird außerdem über einen Sensor am Hals der Kühe überwacht: Neben dem Fress- und Bewegungsverhalten nimmt dieser noch weitere Daten auf und benachrichtigt die Mitarbeitenden bei auffälligen Abweichungen per Smartphone, sodass diese schnell reagieren können.

„Wenn ich mir Zeit nehme und ruhig auf die Tiere zugehe, dann bleiben sie auch entspannt.“
ines kleindienst

Die Brüder bleiben auf dem Hof

Im vierten Lebensmonat wird schonend das Absetzen der Kälber eingeleitet: Nun saugen zwei Kälbergruppen zeitlich und räumlich abwechselnd an einer Ammengruppe. Es kommen also sechs Kälber auf eine Amme. Dadurch steht jedem Kalb weniger Milch zur Verfügung, und es wird angeregt, mehr festes Futter zu fressen. Die Kälbergruppe, die gerade getrennt von den Ammen ist, kann aber auch noch jederzeit durchs Gitter Kontakt aufnehmen. Durch die längeren Trennungsphasen und die Milchentwöhnung wird die Trennung erleichtert.

 

Die weiblichen Kälber kommen dann in einen anderen Stall zur Jungviehaufzucht und dürfen ab dem 12. Lebensmonat auf die Weide. Die Holstein-Friesian-Bruderkälber bleiben auf dem Hofgut und werden bis zum achten Lebensmonat großgezogen, bevor sie als Kalbfleisch vermarktet werden. Die Kreuzungskälber, zum Beispiel mit Fleckvieh, werden weiter aufgezogen und später als Weideochsen oder -färsen vermarktet.

„Es ist ruhiger geworden.“

Ines Kleindienst arbeitet seit über 30 Jahren auf dem Betrieb und hat die Umstellung auf Bio miterlebt. Seit die Kälber nach der Geburt bei der Mutter bleiben und auch danach von einer Ammenkuh aufgezogen werden, sei es viel ruhiger im Stall geworden, erzählt sie. Die Tiere seien entspannter und weniger schreckhaft. „Die Arbeit mit behornten Tieren ist aber nicht ohne“, erzählt sie weiter. „Selbst wenn sie dir nur einen kleinen Stups mit dem Kopf geben, kann das eine Verletzung bedeuten.“ Deshalb ist klar: Bei der Arbeit mit den Mutterkühen und Kälbern kommt es auf ein ruhiges Auftreten an. „Wenn ich mir Zeit nehme und ruhig auf die Tiere zugehe, dann bleiben sie auch entspannt.“

 

Von Laura Küpper

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