Machen Ziegen glücklich und gesund?

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Maria Deß (48) strahlt übers ganze Gesicht. Stolz steht sie in ihrem Ziegenhof-Café, hat ihre Steirische über die Schultern gehängt und singt und jodelt aus vollem Herzen über ihren „Goaßnhof“. Hinter ihr sieht man durch die Fenster in den Stall, an den das Café direkt anschließt. Während ihre Gäste Marias Worten lauschen, können sie bei einem „Zickucchino“ und Kuchen den Ziegen beim Kleegras fressen zuschauen. 210 Tiere stehen zurzeit im Stall des Ziegenhofs Deß in Freystadt in der Oberpfalz. „Zu den Kühen musste ich in den Stall“, sagt Maria, die von einem Milchvieh-Betrieb abstammt, „zu den Ziegen darf ich!“


Günter (52) und Maria Deß haben das Anwesen nicht geerbt, sondern gekauft. 2006 bauten sie den Stall. Milchvieh sollte dort nicht einziehen, allein schon wegen des Milchkontingents. Ziegen oder Schafe?, lautete damals die Frage. „Ziegen gefielen uns besser“, sagt Maria, „die blöken nicht und sind pfiffiger.“ Noch auf dem elterlichen Hof fingen sie mit 15 Ziegen in einem provisorischen Stall an und lernten dabei von den Tieren. Als Eltern von drei kleinen Kindern bauten sie den Ziegenhof auf, Maria machte zeitgleich noch eine Ausbildung zur Hauswirtschafterin. Ihr Traum: ein Café eröffnen. Hier schuf sich das Paar mit der Zeit eine gute Einkommensalternative. Führungen auf dem Biokreis-Hof mit anschließender Einkehr ins Café, Unterhaltungsmusik von der Hausherrin und Einkaufen auf dem Ziegenhof, von Ziegen-Pfefferbeißern, über Salami und Leberkäs bis Milch – dieses Konzept machte den Betrieb rund und wirtschaftlich.


Und doch: „Manchmal fragen wir uns, warum wir es machen“, sagt Günter stirnrunzelnd. Da ist die Sache mit der Milchvermarktung: Die vergangenen zwei Jahre seien schlimm gewesen. Viele Landwirte seien auf Ziegen umgestiegen, die Molkerei habe keine Milch mehr angenommen. Statt sechs Wochen habe man die Ziegen drei Monate trocken stellen müssen. „Wir hatten in dieser Zeit keine Einnahmen“, so Maria. Und überhaupt, der Milchpreis: „72 Cent pro Liter Ziegenmilch… Da passt das Verhältnis nicht. Eine Ziege gibt drei Liter am Tag, eine Kuh 30!“

 

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Zu wenig Abnehmer für Ziegenfleisch

Das zweite Problem: die Kitzvermarktung. Früher wurde der männliche Nachwuchs nach Frankreich verkauft. Aber dieser Markt wurde geschlossen, seit Österreich den Franzosen billigere Kitze aus konventioneller Haltung liefert. Die Kitze selbst zu mästen mache keinen Sinn. Es gibt zu wenig Platz am Hof und am Ende zu wenig Abnehmer. „Dieses Jahr sehen wir zum ersten Mal keine Alternative mehr zum Durchmelken“, erklärt Günter. Zwei Drittel der Ziegen wurden nicht gedeckt, sondern werden zwei Jahre durchgemolken. Der betriebswirtschaftliche Vorteil: mehr Milch im Winter, wo sie auch abgenommen wird, und weniger Nachwuchs. „Wir haben noch keine Erfahrungen in dieser Vorgehensweise, aber es bleibt uns nichts anderes übrig“, sagt der Ziegenbauer. Ein Bock deckt 50 bis 60 Ziegen. Fünf Tage blieben die Kitze bisher beim Muttertier, dann mussten sie lernen, aus dem Sauger zu trinken – eine Bedingung des französischen Abnehmers. „Nun können wir versuchen, die Kitze länger bei der Mutter zu lassen – vielleicht sechs Wochen. Die Tiere werden uns dieses Jahr lernen, wie es am besten funktioniert“, sagt Maria, die sich in der Produktion stetig verbessern möchte. Besonders das Euter der Tiere müsse dann regelmäßig kontrolliert werden, meint Günter. Das Ziegenfleisch wird nun von einem Metzger verarbeitet und im Rahmen der Führungen direkt vermarktet.

Ein Lob auf die Ziege

Trotz dieser Schwierigkeiten sind die Deßs motiviert weiterzumachen. Sie lieben ihre Arbeit, sind Idealisten und schätzen die Tiere auf ihrem Hof auf besondere Weise. Um fünf Uhr früh stehen sie auf, Maria melkt, Günter füttert – im Sommer eine eigene Hofmischung aus Triticale, Gerste und Hafer, und natürlich Kleegras, im Winter Heu und Cobs. Der Hütehund ist stets dabei beim Melken und treibt die Ziegen dahin, wo sie hin sollen. Um circa 16 Uhr folgt der zweite Durchgang, so dass die Stallarbeit um 18 Uhr erledigt ist. Maria lobt die Reinlichkeit der Tiere und das glänzende Fell. „Ich werde im Stall nicht dreckig, brauche keine Gummistiefel und wir haben auch keine großen Probleme mit Parasiten“, betont sie. Einmal im Jahr lassen sie Kotproben untersuchen. Meist ist der Befall gering. Fällt er doch mal höher aus, wird gezielt geimpft. Oft helfen Hausmitteln: gegen Haarlinge Asche, gegen Verdauungsprobleme Hefeweizen. „Von mir bekommen sie ein gutes“, erzählt Günter lachend, „von Maria ein alkoholfreies.“ Und noch eines Vorteils sind sich die Deßs sicher: „Die Ziegen halten Krankheiten von uns fern.“ Einen Hausarzt hat die Familie erst gar nicht, am Ende der Schulzeit ihrer drei Buben Andreas (22), Michael (19) und Thomas (16) bekamen sie eine Urkunde: Keines der Kinder hatte je einen Fehltag in der Schule! Für Maria ist die Sache klar: „Früher hielt man eine Ziege im Stall, damit sie die Krankheiten wegzieht. Das muss wohl wahr sein.“
 
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Stimmige Work-Life-Balance

Was Maria besonders schätzt ist, dass die ganze Familie bei der Arbeit zusammenhilft. Alle drei Söhne stehen im Berufsleben, aber am Wochenende packen sie zu. Wenn jeden ersten Sonntag im Monat das Café geöffnet hat, stehen die Omas in der Küche, der Opa weist auf dem Parkplatz die Autos ein. Günter ist sonntags unterwegs zur Molkerei in Bayreuth, auch unter der Woche liefert er die Milch noch einmal an. Nach dem Stall arbeitet er halbtags im Bauhof, und Maria bewirtet tagsüber ihre Gäste, die meist im Rahmen von Busausflügen anreisen. „Das ist mein Leben – Tiere halten, backen, Leute bewirten und musizieren. Ich bin glücklich, das machen zu dürfen“, sagt Maria. Im vergangenen Jahr wurde sie für ihr Konzept sogar als „Unternehmerin des Jahres“ ausgezeichnet.


Aber es gibt auch noch etwas anderes auf dem Ziegenhof Deß als die Arbeit. Vier bis fünf Mal pro Woche geht Maria Nordic Walken. Im Winter, wenn die Ziegen trocken standen, fuhr die Familie immer in den Urlaub, im Sommer gab es stets mehrtägige Ausflüge mit dem Ziegenzuchtverband. „Da wir um 18 Uhr den Stall erledigt haben, können wir abends weggehen, zum Beispiel zum Essen oder auf Feste“, sagt Günter. Die Work-Life-Balance stimmt, auch weil er und Maria ihr Hobby zum Beruf gemacht haben, wie er sagt. Oder wie Maria sagt: „Zu den Ziegen darf ich.“

 

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